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Bericht von der polnisch-belarusischen Grenze

24. December 2022
News

Seit November ist eine Gruppe von Aktivist*innen aus der Schweiz an der polnisch-belarusischen und der litauisch-belarusischen Grenze aktiv. Sie unterstützen dort People on the Move und machen für uns mit ihren Berichten sichtbar, was an den europäischen Aussengrenzen abseits der Öffentlichkeit passiert.


Wir sind als eine Gruppe von Aktivist*innen aus der Schweiz zunächst an der Grenze von Belarus zu Polen, später dann an der von Belarus zu Litauen aktiv, um dort People on the Move zu unterstützen. Wie ist die Lage vor Ort?

Wir sind etwas gestaffelt angereist und haben uns die ersten drei Wochen auf verschiedene lokale Gruppen in Polen aufgeteilt. Eine Person war auch schon im September/Oktober für drei Wochen vor Ort. Seit Anfang Dezember sind wir nun zu fünft gemeinsam in Litauen.

Im späten Sommer diesen Jahres wurde der Bau des Grenzzaunes zwischen Belarus und Polen abgeschlossen. Das ist eine 5,5 Meter hohe und 186 Kilometer lange Stahlkonstruktion, durchgängig versehen mit Nato-Draht. Jüngst wurden elektronische Bewegungsmelder und teilweise schon Wärmebildkameras installiert, die Ausweitung und der Ausbau der elektronischen Überwachung schreitet täglich weiter voran. Militär und freiwillige Verteidigungseinheiten (WOT) patrouillieren in regelmässigen Abständen. Diese Barriere soll Menschen davon abhalten, nach Europa zu gelangen.

Doch wie auch an anderen Grenzen sind solche Installationen lediglich eine Erschwernis, kein Hindernis. Die Menschen nehmen nun gefährlichere Wege in Kauf, sie gehen zum Beispiel durch Flüsse und Sümpfe. Was dies im Winter bedeutet, kann sich sicherlich vorgestellt werden. Seit Mitte November gehen nicht mehr so viele Anrufe auf der zentralen Notfallnummer ein. Das hat vermutlich mit dem Wintereinbruch zu tun, aber auch mit den eben erwähnten Installationen am Grenzzaun. Auch an der Grenze Litauen-Belarus gibt es seit ca. zwei Wochen keine Anrufe mehr von Menschen, welche um Unterstützung anfragen. Aber das kann sich schnell wieder ändern, so die Erfahrungen vom letzten Winter. Es gibt immer Zeiträume in denen die Telefone ruhig bleiben, unabhängig der Jahreszeit. Die Dauer variiert dabei.

Fluchtgründe und Herkunft der Menschen sind divers

Die Menschen, welche auf dieser Route nach Europa gelangen wollen, starteten ihre Reisen aus verschiedenen, ehemals kolonialisierten Ländern, aus zentral- oder Südasien und unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Immer mehr kommen aber auch Menschen über diese Route, die sich vorher bereits für längere Zeit in Russland aufgehalten haben.

Die Gründe sind unterschiedlich: Krieg und Vertreibung, politische Verfolgung, Verarmung und Hunger aufgrund kolonialer Ausbeutung und Folgen des Klimawandels, Perspektiven auf ein besseres Leben. Einige Menschen haben Freund*innen und Familie in Europa und möchten mit diesen Menschen zusammen leben.

Pauschal können wir die Frage zur Anzahl von Personen aus den verschiedenen Ländern nicht beantworten. Es ist wohl stark davon abhängig, wie Russland oder Belarus die Visa-Regularien für verschiedene Länder anpasst und erleichtert. Es gibt hier in Polen die NGOs “Grupa Granica”1 und «Helsinki Foundation for Human Rights»2, sie machen viel Monitoringarbeit, erstellen Berichte und erheben Statistiken.

Polnische Regierung hat Push-backs legitimiert

Die Repression beginnt schon in Belarus. Von dort berichten die Menschen immer wieder, dass sie von Militär und Grenzbeamt*innen gewaltsam gezwungen werden die Grenze nach Polen zu überqueren. Sollten sie in Polen ankommen und entdeckt worden sein, droht ihnen der Push-back zurück nach Belarus. Da arbeiten Grenzbehörden, Polizei und Militär Hand-in-Hand. Das Schlimme ist, dass die polnische Grenzwache (Straż Graniczna) eigenständig entscheiden kann, wer das Recht hat, einen Asylantrag zu stellen und wer nicht10.

Darüber hinaus hat sie den Befehl von der polnischen Regierung bekommen Push-backs, fernab des öffentlichen Bewusstseins, durchzuführen. Polen stellte somit nationales über internationales Recht, bisher ohne rechtliche Konsequenzen3. Selbst Schwerverletzte bitten darum, nicht den Rettungsdienst zu rufen, da ein Rettungseinsatz auch Polizei und/oder Grenzwachen alarmiert. Verletzte kämen bestenfalls ein paar Tage in ein Krankenhaus, um dann wieder nach Belarus abgeschoben zu werden.

Für diejenigen, die es schaffen einen Asylantrag in Polen zu stellen, heisst die Perspektive “Detention Center”. Das sind zum Teil geschlossene und überfüllte Lager4. Es sind mehr Gefängnisse als Aufnahmestellen, die Verhältnisse darin sind gewaltsam und menschenunwürdig. Am 13. August 2021 wurde eine Verordnung zu den Haftbedingungen geändert, welche es nun erlaubt, doppelt so viele Inhaftierte auf gleichem Raum einzusperren5. Bis zu 18 Monate werden Menschen dort ihrer Freiheit beraubt6. Polen ist daher selten das Ziel der Menschen, viele wollen weiter reisen z.B. nach Deutschland und Frankreich.

Was von anderen Grenzen bekannt ist, ereignet sich auch an den Grenzen von Belarus zu Polen und Litauen. Menschen werden in den Wäldern von staatlichen Beamt*innen geschlagen, getreten, sexuell belästigt und anderen körperlichen Gewalttaten ausgesetzt, bevor sie über die Grenze, zurück nach Belarus, zurückgedrängt werden. Ihnen werden Telefone, Geld und Klamotten geraubt und zerstört. Neben der körperlichen Gewalt erfahren Menschen auf der Flucht viel psychische Gewalt von staatlicher Seite mit dem Ziel, sie zu brechen; Menschen dazu zu bringen von einer erneuten Grenzüberquerung abzusehen.

Die Grenzgewalt fordert Menschenleben

Es gibt 28 bestätigte Todesfälle in den polnischen Wäldern in den letzten 14 Monaten. Mehr als 190 Menschen gelten als vermisst7. Und was in den belarusischen Wäldern geschieht, ist kaum bekannt. Augenzeug*innen berichten von vielen Toten, bestätigte Zahlen gibt es keine.

Der letzte Todesfall wurde am 20.12.2022 bestätigt: der 66-jährige Jaber Al Jawabra wurde am Grenzzaun an einem der Tore gefunden. Unter den Habseligkeiten befanden sich eine Ausweisungsverfügung vom 19. Dezember 2022 mit einem dreijährigen Verbot der Einreise nach Polen und in andere Länder des Schengen-Raums18.

Welche Grenzbehörden sind vor Ort aktiv und wie verhalten sie sich?

In Polen agieren Grenzwache, Polizei und Militär an der Grenze nach Belarus, alles nationale Einheiten. Viele Einwohner*innen melden sich bei der freiwilligen Armee WOT (Wojska Obrony Terytorialnej: Truppen der Territorialverteidigung)8, die lediglich ein sechzehntägiges Training erfordert, um bewaffnet an der Grenze patrouillieren zu gehen. Für Menschen auf der Flucht bedeutet das vor allem eins: Wer nicht aus der Region kommt, fällt sofort auf. Unbemerkt über Felder und Waldwege zu laufen ist fast unmöglich. Welche offiziellen Befugnisse das Militär in der Grenzregion hat, wird nicht kommuniziert. Jurist*innen stellen seit über einem Jahr Anfragen an zuständige Behörden, bekommen jedoch keine Antworten, da die Angaben mit Verweis auf die nationale Sicherheit unter Verschluss gehalten werden.

Frontex hat hier keine Mandate.

Frontex hat kein Mandat an der polnisch-belarusischen Grenze. Am 12. Juli 2022 verkündete die damalige amtierende Exekutivdirektorin von Frontex, Aija Kalnāja, gegenüber den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, dass Frontex Litauen nicht mehr bei der Grenzüberwachung unterstützen werde9. Somit reduziert sich die behördliche Präsenz dort auf Grenzwache, Militär und Polizei.

Menschen werden über die Grenzen “hin- und hergezwungen

Nach Aussage von Betroffenen ist das Vorgehen der Grenzbeamt*innen an der polnisch-belarusischen und litauisch-belarusischen Grenze ähnlich. Menschen werden aufgespürt, geschlagen, es werden Smartphones abgenommen oder zerstört und Geld geraubt. Schlussendlich werden die Betroffenen an die Grenze zu Belarus gefahren und gezwungen durch sogenannte Wildtore zurück nach Belarus zu gehen. Laut Grenzbehörde wurden solche Tore eigens eingerichtet, um Wildtieren den Durchgang zu ermöglichen. Dass diese Tore aber die meiste Zeit geschlossen sind, scheint keine Fragen hervorzurufen. Auf belarusischer Seite werden die Betroffenen dann wiederum gezwungen, die Grenze zu Polen so schnell wie möglich zu überqueren.

Push-backs sind an der Tagesordnung, gesetzlich legitimiert: Wie erleben People on the Move die Pushbacks?

Werden Menschen in den Wäldern oder auf der Weiterreise in Richtung Deutschland aufgegriffen, werden sie in der Regel sofort an die belarusische Grenze “zurückgeführt”. Es kommt nicht selten vor, dass wir innerhalb kurzer Zeit mehrmals auf dieselben Menschen treffen, da sie nach dem Push-back wenige Tage später wieder in den polnischen Wäldern ankommen. Viele haben mehr als 10 Push-backs hinter sich, eine Person berichtete im Oktober von mehr als 20 Push-backs.

Push-backs sind die Regel, sind zur Regel geworden. Am 20. August 2021 hat der polnische Minister für innere Angelegenheiten und Verwaltung Maciej Wąsik eine Verordnung geändert10, welche Push-backs legalisiert und das Militär die Anordnung bekommen hat diese ‘legal’ durchzuführen. Eine Möglichkeit für People on the Move legal nach Polen einzureisen gibt es nicht.

Physische Barrieren und Umwelteinflüsse führen zu Verletzungen

Verletzungen gibt es immer wieder: Knochenbrüche, Verstauchungen, Gehirnerschütterungen durch den Sturz vom 5,5 Meter hohen Grenzzaun und Schnittwunden durch den Nato-Draht. Da viele Menschen die Grenze durch Flüsse und Sümpfe überwinden, müssen sie oft längere Zeit in nassen Kleidern und Schuhen in den Wäldern ausharren. Dies hat Unterkühlung und Erfrierungen zur Folge. Oft leiden die Menschen an Immersionsfuss; ein Syndrom das durch längere Einwirkung von Feuchtigkeit auf menschliches Gewebe in Verbindung mit Kälte und geschlossenem Schuhwerk ausgelöst wird. Dies kann zu lebensbedrohlichen Infektionen führen.

Aktive Angriffe durch Grenzbeamt*innen

Immer wieder haben Menschen Verletzungen wie Prellungen und Platzwunden, welche sie durch Schläge von belarusischen und polnischen Grenzbeamt*innen erfahren mussten. Von Gewalterlebnissen beiderseits der Grenze wird immer wieder berichtet. Zudem werden Smartphones zerstört, um den Menschen die Kommunikation und Orientierung/Navigation zu unterbinden.

Auch die lange Zeit, die Menschen brauchen, um die Grenze zu überwinden und sich in den Wäldern zu verstecken, führt zu gesundheitlichen Notsituationen. Menschen verbringen oft mehrere Tage ohne Essen oder Wasser, was zu Dehydrierung führen kann. Im Sommer wird dann in den Wäldern auf unbekannte Pflanzen und Früchte zurückgegriffen, die Folge sind Lebensmittelvergiftungen. Auch wenn Menschen gezwungen sind, Wasser aus den Sümpfen zu trinken, weil sie sonst kein anderes Wasser zur Verfügung haben, leiden sie an Bauchkrämpfen und Durchfall.

Aufrüstung der Grenze bringt mehr Gefahren

Der Zaunbau wurde im späten Sommer 2022 abgeschlossen, ein elektronisches Alarmierungssystem, Ende November in Betrieb genommen11. Maciej Wąsik teilte am 25. November 2022 auf Twitter stolz ein Video der Aufnahmen von installierten Wärmebildkameras12. Was dies im Hinblick auf das Gelingen der Grenzüberwindung bedeutet wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Was der Fall sein wird: der Zaun, die elektronischen Barrieren und die Videoüberwachung wird die Menschen nicht davon abhalten die Grenze zu überwinden. Jedoch werden die Versuche beschwerlicher und gefährlicher.

Immer wieder werden wir nach dramatischen Beispielen gefragt, nach besonders drastischen Schicksalen von Menschen. Ist es möglich, diese zu benennen?

Es gibt so viele verschieden Geschichten, welche wir von den Menschen auf der Flucht hören. Und wir sehen immer wieder auch die Verletzungen, welche durch Schläge von Grenzbeamt*innen verursacht wurden. Es fällt schwer, da ein “besonderes” Beispiel zu nennen und es würde der Vielzahl an Menschen und Begegnungen auch nicht gerecht werden. Alle Erzählungen sind dramatisch und besonders. Die Geschichten, die wir hören, sind so zahlreich wie die Menschen, denen wir begegnen. Jede Person, der wir begegnen, bringt eine unglaubliche und einzigartige Geschichte mit, die viel mehr ist, als nur der kurze Ausschnitt der Überquerung der Grenze. Alle Menschen bringen eigene Wünsche, Erwartungen und Träume mit, die alle gleich viel Aufmerksamkeit verdienen.

Neben all den unpersönlichen Zahlen, die wir in den Medien hören, wird schnell vergessen, dass hinter jeder Zahl ein ganzes Leben steckt, welches ebenfalls ein ganzes Leben bräuchte, um erzählt zu werden. Erst Anfang Dezember wurde vom Border Violence Monitoring Network und den Linken aus dem EU-Parlament das Black Book of Pushbacks veröffentlicht. Auf über 3.000 Seiten sind über 1.600 Zeug*innenaussagen von Push-backs zu lesen, die das brutale Grenzregime der EU dokumentieren13.

Welche Repression erfahren Aktivist*innen in Polen?

Seit letztem Jahr wurden etliche Aktivist*innen und Unterstützer*innen mit Repression belegt. Derzeit gibt es Ermittlungsverfahren gegen Aktivist*innen zum Vorwurf der Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt. Eines der Verfahren wurde nun am 05. Dezember 2022 von der Staatsanwaltschaft eingestellt14. Schikanen bei polizeilichen Massnahmen sind an der Tagesordnung, zum Beispiel während Verkehrskontrollen im Grenzgebiet. Die Personalienfeststellungen dauern zum Teil zwischen 30 und 60 Minuten.

Genoss*innen berichteten uns von gewalttätigen Übergriffen während solcher Massnahmen: Sie wurden aus Autos gezerrt, mussten sich zur Personenkontrolle auf die Strasse legen und wurden bedroht. Ebenso werden auch immer wieder Smartphones der Aktivist*innen untersucht, sie müssen anhand der IMEI (eindeutige und einmalige Hardwarenummer eines Mobiltelefons) beweisen, dass das Gerät nicht gestohlen ist. Mit solchen Smartphonekontrollen erhoffen sich die Beamt*innen, an Informationen aus Messenger-Chats zu gelangen, Beweise für etwaige Gesetzesübertretungen zu finden und aktuelle Aufenthaltsorte von Menschen auf der Flucht zu erfahren.

Auch kommt es vor, dass Aktivist*innen auf den Polizei- oder Grenzposten mitgenommen werden. Dabei werden sie so lange festgehalten, bis ihre Identität geklärt ist, auch wenn das mehrere Tage sind. Personalienverweigerung ist in Polen keine Option.

Vorwürfe sind juristisch nicht haltbar

Juristisch stellen weder Hilfsmassnahmen im Wald, das Beherbergen von illegalisierten Menschen, noch deren Mitnahme in einem Fahrzeug einen Straftatsbestand dar. Im Gegenteil: nach Artikel 162 ist es jedes Menschen Pflicht, Menschen in Notsituationen zu helfen.

Im Gegensatz dazu gibt es zum Beispiel Gerichte, welche die Aktivitäten des polnischen Grenzschutzes als rechtswidrig verurteilen. Am 29. November 2022 z.B. hat das Landesverwaltungsgericht in Białystok festgestellt, dass der Push-back eines 16-jährigen rechtswidrig war15.

Dass noch keine gerichtlichen Entscheidungen gegen Aktivist*innen vorliegen, zeigt das perfide System. Die solidarischen Gruppen sind den staatlichen Behörden ein Dorn im Auge. Sie wollen die Hilfe unterbinden und Aktivist*innen mit langen, rechtlichen Verfahren zermürben. Eine Taktik, die auch in Italien und Griechenland bei der Kriminalisierung von Seenotrettung angewandt wird.

Wie haben wir uns als Gruppe zusammengefunden, wie wollen wir weiterhin politisch agieren und wirken?

Wir kennen uns zum Teil schon seit Jahren, manche arbeiten in verschiedenen Projekten und Kollektiven zusammen. Wir hatten bereits die Idee zusammen an die EU-Aussengrenzen zu reisen, waren uns aber noch nicht sicher, wohin uns die Reise führen wird. Im Sommer diesen Jahres fand im französischen Nantes das Transborder Summer Camp statt16. Dort gab es erste Kontakte mit Strukturen, welche hier in Polen seit 2021 an den Grenzen zu Belarus aktiv sind und so begannen wir unseren Aufenthalt konkret in diese Region zu planen.

Wir arbeiten auch zu Hause in verschiedenen Projekten, welche sich mit dem Thema Migration und Antirassismus befassen. So gibt es zum Beispiel in verschiedenen Schweizer Städten autonome Schulen, in welchen unter anderem unentgeltliche und bedingungslose Sprachkurse angeboten werden. Es gibt Unterstützungsnetzwerke für Sans Papiers in isolierenden Notunterkünften, Netzwerke von und mit migrantischen Personen. Also viele Projekte, in welchen Menschen sich beteiligen können. Diese Projekte sind auch Unterstützung für uns: wir lernen tolle Menschen kennen, welche uns helfen unsere eigene Rolle in einer “weiss” dominierenden Gesellschaft zu reflektieren.

Wir lernen viel von den Menschen, die wir hier unterstützen können.

Uns ist bewusst, dass wir hier an den Aussengrenzen als privilegierte weisse Menschen mit europäischen Papieren die Rolle der Helfenden einnehmen. Aber auch wir lernen viel von den Menschen, welchen wir begegnen, aus deren Erfahrungen, Wünschen und Perspektiven. Von Anfang an war es für uns wichtig, dass wir nicht nur im Rahmen von humanitärer Hilfe an die Aussengrenzen der Festung Europa reisen. In unseren Städten berichten wir oft über die Situation an den Aussengrenzen. Unsere Perspektiven zu reflektieren, die Situation mit eigenen Augen zu sehen und die öffentliche Berichterstattungen mit eigenen Beobachtungen zu vergleichen ist uns wichtig. Eine wichtige Aufgabe sehen wir dabei auch in der Berichterstattung und Medienarbeit, der Verbreitung von Erlebnissen und Ereignissen und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit dafür, dass diese Routen weiterhin existieren. Zudem nutzen wir die Begegnung mit (NoBorder) Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern und Regionen zum Austausch und einer transnationalen Vernetzung.

Langfristige müssen wir das rassistische System überwinden

Was solidarische Gruppen an den Grenzen unternehmen ist streng genommen reine Symptombekämpfung. In unserem politischen Kampf müssen wir deshalb weiterhin das grosse Ganze im Blick behalten. Bestimmte Menschen, die seit Jahrhunderten von dem bestehenden politischen System unterdrückt werden, werden auch weiterhin von den rassistischen Politiken Europas unterdrückt werden. Wir setzen uns deswegen für einen Prozess ein, in dem wir uns bereit erklären immer wieder aufs Neue herausfinden zu wollen, wie wir Seite an Seite koexistieren können, wie wir eine gerechtere Verteilung der Güter ermöglichen und wie wir die rassistische neo-kolonialistische Politik stoppen können.

Wer steht in der Verantwortung, auf wen vertrauen wir?

In parlamentarische Politik haben wir kein Vertrauen. Als Anarchist*innen und Menschen, die mit anarchistischen Ideen sympathisieren, lehnen wir Nationalstaatlichkeit und deren politische Strukturen ab.

Beispiel Ortskräfte in Afghanistan: leere Versprechen vor den Wahlen in Deutschland und danach die Sache als kompliziert und quasi unmöglich darzustellen. Oder der neue Aktionsplan gegen irreguläre Migration zwischen Schweiz und Deutschland17; das ist doch der beste Beweis für das Totalversagen einer scheinheiligen und profitorientierten Politik. Und Ähnliches sehen wir auch an den EU Aussengrenzen, egal auf welcher Route, ob Balkan, Mittelmeer und Kanaren, im Ärmelkanal oder hier an den östlichen Grenzen, überall wird nur abgeschottet, militarisiert und weg gesehen. Passiert mal wieder eine Tragödie, geben sich alle schockiert und fragen sich vor den Kameras der Medien “wie konnte das nur passieren?”.

Ausreichend und wirksamer Druck kann nur von einer sich emanzipierenden und kritischen Gesellschaft kommen, die leere Versprechen nicht länger hinnehmen will. Wir müssen selbst auf die Zukunft, in der wir leben wollen, hinarbeiten.

Wir vertrauen auf uns selbst und unsere Genoss*innen und Freund*innen welche überall von einer grenzenlosen Welt träumen und täglich für diese kämpfen. Der Teil eines starken NoBorders-Netzwerks zu sein, gibt unheimlich viel Kraft, Hoffnung und Perspektive für ein gutes Leben für alle.

Unterstützt werden Aktivist*innen durch Supportstrukturen, wie zum Beispiel einer Gruppe solidarischer Jurist*innen oder Psycholog*innen. Sollte mal wer an die juristischen oder psychischen Grenzen geraten, steht Hilfe zur Verfügung. Unterstützung bekommen wir auch durch Menschen aus unserem Umfeld durch Geld- oder Sachspenden. Im Oktober gab es eine Infotour von polnischen Aktivist*innen zur aktuellen Situation und den Kämpfen vor Ort. Daraufhin hat sich eine Unterstützungsgruppe gebildet, welche mit Arbeiten von zu Hause aus supporten. Menschen, die mit dem aktuellen System nicht zufrieden sind, organisieren Kleider- und Materialsammlungen, übersetzten Texte und vieles mehr.”

Verweise

1 https://www.grupagranica.pl/

2 https://hfhr.pl/en/

3 https://hfhr.pl/upload/2022/04/ohchr2021_final_4.pdf

4 https://www.infomigrants.net/en/post/38499/migrants-in-polish-detention-center-stage-hunger-protest

5 https://isap.sejm.gov.pl/isap.nsf/download.xsp/WDU20210001482/O/D20211482.pdf

6 https://www.infomigrants.net/en/post/38499/migrants-in-polish-detention-center-stage-hunger-protest

7 https://euobserver.com/world/156420

8 https://media.terytorialsi.wp.mil.pl/informacje/737080/polowa-polsko-bialoruskiej-granicy-chroniona-przez-zolnierzy-wot

9 https://euobserver.com/migration/155523 , https://balticword.com/frontex-ends-lithuania-border-surveillance-operation/

10 https://isap.sejm.gov.pl/isap.nsf/download.xsp/WDU20210001536/O/D20211536.pdf

11 https://twitter.com/Straz_Graniczna/status/1596148503625043970

12 https://twitter.com/WasikMaciej/status/1596063137429848064

13 https://www.borderviolence.eu/launch-event-for-the-black-book-of-pushbacks-expanded-and-updated-edition/

14 https://www.kik.waw.pl/aktualnosci-kik/postepowanie-prokuratorskie-w-sprawie-wolontariuszki-kik-u-zostalo-prawomocnie-umorzone/

15 https://bip.brpo.gov.pl/pl/content/rpo-maloletni-cudzoziemiec-wydalenie-bialorus-skarga-wsa-wyrok

16 https://trans-border.net/index.php/transborder-summercamp-transnational-solidarity-against-the-european-border-regime/

17 https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/mm.msg-id-92189.html

18 https://bialystok.wyborcza.pl/bialystok/7,35241,29287767,kryzys-na-granicy-polsko-bialoruskiej-kolejne-cialo-przy.html